Piz Morteratsch mit Biwak – Es geht auch ohne Hütte!
Hochtouren gelten nicht umsonst als eine der Königsdisziplinen des Bergsteigen, muss man doch oft alpines Felsklettern mit Eispassagen auf langen Touren mit weiten Zustiegen kombinieren! Da ist man doch sehr froh über eine Schutzhütte auf halbem Weg…aber muss das wirklich sein? Die großen Bergsteigerinnen der Vergangenheit (und an den hohen Bergen dieser Welt auch noch heutzutage) konnten sich auf diesen Luxus nicht verlassen und vollbrachten trotzdem herausragende Leistungen – das können wir doch auch! Und dabei können wir auch noch lernen, wie man mit einer kleinen Gruppe umweltbewusst so ein Biwak durchführen kann.
So machten wir uns also im Juli auf den Weg in die Bernina: 6 junge Bergsteigerinnen, ein Eichhörnchen und ganz viel Gepäck. Für fast alle war es das erste Biwak, für gut die Hälfte der Teilnehmer*innen sollte es auch die erste Hochtour überhaupt werden! Ziel war der Piz Morteratsch, mit seinen 3751 m ein sehr ordentliches Ziel und die Überschreitung bekannt als Traumtour. Nachdem wir das Auto in Pontresina abgestellt hatten und alles Gepäck fair verteilt hatten, machten wir uns schwer bepackt in Richtung Bovalhütte auf, trotz gutem Wetter versperrten leider ein paar Wolken den Blick auf die Bernina-Riesen. Davon ließen wir uns natürlich nicht beeindrucken und schleppten unsere Schlafsäcke, Isomatten, Koch-Utensilien und zwei Tarps für den Notfall weiter in Richtung Boval-Scharte vorbei an der Bovalhütte. Am Rande der Wiesen-Grenze fanden wir einen wunderschönen Übernachtungsplatz, den wir dann mit Windschutz-Mauern ausstatteten um echtes Biwak-Feeling aufkommen zu lassen. Nach einem gemütlichen Abendessen krabbelten wir auch recht schnell in unsere Schlafsäcke und genossen die frische Luft nach der Hitze des Flachlandes.
Am nächsten Morgen ging es nach einer erholsamen Nacht los, um 5 Uhr starteten wir mit allem Gepäck zum Gipfelanstieg. Auf dem Weg passierten wir das Biwak einer Gruppe aus der Steiermark – eingeklemmt zwischen einem Schneefeld und einer Felswand verbrachten sie eine eher unruhige Nacht. Wir stapften ausgeschlafen vorbei und nutzten die noch reichlich vorhandenen Schneefelder für ein schnelles Vorwärtskommen. Am Einstieg in die Kletterei angekommen wurden wir von einigem Steinschlag der vorangehenden Seilschaften überrascht: ständig hagelte es kleine bis mittelgroße Brocken direkt über die erste Steilstufe. In einer kurzen Steinschlag-Pause überquerten wir den gefährlichsten Teil zügig und konnten dann ohne weitere Probleme aufsteigen. Die anfangs noch schuttigen Platten gingen bald in besten Bernina-Diorit über und so kletterten wir in wundervollem Fels in die Boval-Scharte. Nach einer kurzen Pause in der Sonne deponierten wir den größten Teil unseres Gepäcks in der Scharte und machten uns, nun auf dem Vadrettin da Tschierva, auf in Richtung Gipfel. Erst steil, dann etwas ausgesetzt auf einem Firngrat, dann wieder durch eine steile Flanke kämpften wir uns durch mindestens zehn italienische Seilschaften zum Gipfel. Und der Ausblick war phänomenal! Der Festsaal der Alpen tat sich vor uns auf: Vom Piz Cambrena mit seiner Eismütze über die mächtige, dreigeteilte Nordwand des Piz Palü über die großen Hängegletscher der Bellavista-Terrassen bis zum Biancograt am Piz Bernina, alle waren sie vor unseren Augen versammelt. Wir konnten die perfekten Bedingungen jedoch nur kurz genießen, da sich die Italiener schon wieder zum Abstieg bereit machten – eine Wiederholung des chaotischen Aufstiegs wollten wir um jeden Preis umgehen. So hüpften wir gut gelaunt in großen Sprüngen die steile, aber durch die Sonne angenehm aufgeweichte, Gipfelflanke hinab und kamen dann zum deutlichen härteren Aufschwung vom Gletscherboden zum Nordgrat. Schritt für Schritt ging es auf den Steigeisen hinab auf den flachen Gletscher – geschafft! Das ganze Gepäck wieder auf dem Rücken starteten wir den Abstieg in Richtung Tschiervahütte. Auf dem Weg legten wir noch eine Spalten-Spring-Übungs-Session und eine Schneefeld-Ausrutsch-Mit-Dem-Pickel-Anhalten-Übungs-Session ein und brachten so unsere Hochtouren-Kenntnisse auf Vordermann. Anschließend ging es den weiten Weg an der Tschiervahütte vorbei durchs Val Roseg zum Auto – wobei wir Leonie und Niko auf der Tschierva-Hütte zurück ließen, sie wollten in den kommenden Tagen noch den Biancograt und die Palü-Überschreitung anhängen.